Bahnhof Bern: Ausbau mit nationalem oder regionalem Nutzen?

Vier Entflechtungsbauwerke zwischen Holligen (2030), Wylerfeld (2022), Wankdorf-Süd (2036), Gümligen (2028) sollen bis in 15 Jahren einen flüssigeren Verkehr im Zulauf nach Bern ermöglichen. Für mehr Züge im Bahnhof genügen aber die aktuellen zwölf Gleise an Perronkanten kaum mehr. Seit Start des Projektes «Zukunft Bahnhof Bern», ZBB 2011, gibt es eine Planung für vier weitere Gleise im Berg unter der grossen Schanze. Offen ist der Umsetzungshorizont, nachdem Projekte dieser Grössenordnung über den Bahninfrastruktur-Fonds BIF via vom Parlament beschlossene Ausbauschritte finanziert werden. Projekte in Luzern, Basel, Genf werden politisch aufgegleist, Bern ist am Zuwarten. Zeit, dass sich Kanton, Region, Wirtschaft und Tourismus für diesen Ausbau mit regionalem und nationalem Nutzen stark machen. Das Projekt der meterspurigen Metro Nord-Süd, Worb – Bern – Köniz ( –Schwarzenburg) weckt regionale Interessen, ein meterspuriger Zahnradtunnel durch die Grimsel bedient touristische Ideen. Bern sollte im Schienenverkehr auf die nationale Karte setzen, sonst bleibt ein besserer Anschluss ans nationale, geschweige denn internationale Schienennetz ein Traum.

Lausanne, Genf, Basel, Luzern sind am Start
«Der Ausbau des Bahnhofs Lausanne ist für das Funktionieren des Bahnsystems zwischen St. Gallen und Genf zentral» teilte die SBB kürzlich zum Baustart mit. Die Perrons werden auf 420 Meter verlängert. Am «Herzstück», einer neuen unterirdischen Verbindung zwischen den beiden Basler Bahnhöfen, wird seit langem geplant. 2021 wurde dieses durch den «Stossrichtungsentscheid» für einen Tiefbahnhof Basel SBB ergänzt und auf die politische Ebene gehievt. Es seien weitere Perronkanten notwendig. Die heutige Kapazität der 19 Perrongleise sei nicht ausreichend. «Aktuelle Planungsarbeiten dienen dazu, belastbare Grundlagen zum kommenden Ausbauschrittim Knoten Basel zu erarbeiten, welche voraussichtlich 2026 in eine Botschaft ans nationale Parlament einfliessen» verlauten die Basler Behörden. Die Luzerner Politik hat es geschafft, dass die Projektierungsarbeiten für die unterirdische Durchmesserlinie ab Ebikon mit Tiefbahnhof im Ausbauschritt 2025 der Bahninfrastruktur finanziert werden. Ebenso werden in Genf zwei weitere Gleise in einem Tiefbahnhof erstellt, um die zukünftigen Verkehrsströme zu bewältigen. Der Zürcher Hauptbahnhof wurde in den letzten 30 Jahren mit zwei unterirdischen Durchgangsbahnhöfen ergänzt und zählt nun 24 Gleise gegenüber 16 im Jahre 1970. Seit 1982, dem Start des Taktfahrplans Schweiz, erhielten die Knotenbahnhöfe Genf, Biel, Olten, Aarau, Basel SBB, Winterthur, St. Gallen, sowie Lugano, Baden, Zürich Oerlikon oder Renens als Durchgangsbahnhöfe, zusätzliche Gleise und Perronkanten.

 

Bern: Genügen Entflechtungsbauwerke?
Mit dem Totalumbau 1958/70 des Berner Bahnhofs wuchs die Zahl der Perronkanten von neun auf zwölf. Seither wurden vier Perrons für 400 Meter lange Züge ertüchtigt sowie die Welle als zweitem Perronzugang erstellt. Geblieben ist die Anzahl nutzbarer Gleise. Die aktuelle Megabaustelle betrifft den Neubau des RBS-Bahnhofs mitsamt zweiter Bahnhofunterführung. IC/IR-, S-Bahnzüge müssen sich im zweitgrössten SBB-Bahnhof weiterhin die zwölf Gleise teilen. Punkto weiterer Perronkanten dürfte es nochlange bei den abgelegenen Gleisen 49/50 bleiben, die primär als Überbrückung während der Umbauphase gedacht waren.

Die grosse Auslastung des Berner Bahnhofs ist bei den Zugläufen zu suchen, die in Bern wenden oder die Richtung wechseln wie Basel/Zürich – Oberland/Wallis. Das Knotenprinzip zu den Minuten 00 /30 ermöglicht das Umsteigen für alle Verbindungen bei deutlich längeren Belegungszeiten der Perronkanten als bei den durchgehenden IC/IR Zürich/Luzern – Genf. Mit den geplanten Verdichtungen im Fernverkehr zum Viertel- oder Halbstundentakt gemäss Ausbauschritt 2025 wird die Situation im Bahnhof Bern sehr eng. Zudem soll im Kerngebiet der Agglomeration der Viertelstundentakt der S-Bahn zur Regel werden. Dies zeigt der Gleisbelegungsplan fürdiesen Horizont eindrücklich. Nach 2030 bestehen nur beschränkte Möglichkeiten, weitere Züge durch den Berner Bahnhof zu schleusen. Die Verkehrszunahme könnte mit längeren Zügen oder, recht extrem, mit einem schweizweiten Umbau des Taktsystems zwischen St. Gallen und Genf aufgefangen werden. Dies führt aber unweigerlich zu längeren Umsteigezeiten und Anschlussbrüchen, nicht nur in Bern.

Eine erste Abhilfe werden die Entflechtungsbauwerke bringen, womit sich ankommende und wegfahrende Züge nicht mehr gegenseitig behindern. 2022 kommt die Unterwerfung Wylerfeld für Züge Richtung Ostermundigen in Betrieb. Bis 2030 soll die Entflechtung Holligen bereitstehen, um die S-Bahnen aus dem Gürbetal / von Brünnen her mit den Ästen Zollikofen/Ostermundigen konfliktfrei zu verknüpfen. Bis 2036 wird sich im Wankdorf Süd die dem Güterverkehr dienende Schleife aus dem Löchligut kreuzungsfrei einfädeln. Bereits 2028 dürfte in Gümligen die Strecke aus Langnau kreuzungsfrei in die Linie aus Thun münden. Zur weiteren Verflüssigung des Betriebes zählt das notwendige, aber noch nicht terminierte vierte Gleis Wankdorf Nord bis Löchligut, damit Züge nach Zollikofen den Zulauf zum Grauholztunnel nicht mehr behindern. Die einst einspurigen Strecken Richtung Langnau, Kerzers und Belp sind dank partieller Doppelspur leistungsfähiger geworden. Die 1.2 km lange Doppelspur Liebefeld-Vidmar bis Köniz ist politisch via Bahninfrastrukturfonds finanziert und wird bis 2030 den Viertelstundentakt bis Niederscherli ermöglichen.

Mithin wird der Bahnhof Bern mit nur zwölf Perronkanten aus allen Richtungen flüssiger als heute, aber von deutlich mehr Zügen angefahren. Planer weisen seit 2011darauf hin, dass das angestrebte Wachstum nur mit weiteren Perronkanten zu bewältigen sei. Möglich würde dies mit vier Gleisen auf der nördlichen Bahnhofseite unter der grossen Schanze, die vom Lorraineviadukt und Richtung Bühlbrücke angeschlossen würden. Bauwerke dieser Grössenordnung müssen in den nationalen Ausbauschritten Bahninfrastruktur Aufnahme finden. AS 2040 oder 2045? Notwendig ist dazu ein gehöriger Druck von Kanton, Region, Stadt und Wirtschaft, wie die Beispiele aus Basel, Luzern und Genf zeigen. Nur so ist eine Realisierung innerhalb von 20 – 30 Jahren möglich.

In den Unterlagen Zukunft Bahnhof Bern (ZBB) von 2011 wurde die Realisierung 2025 – 2030 angestrebt. Dies bei Kosten von rund 1 Mia. Franken. Solche Mammutprojekte lassen sich trotz gefülltem Finanztopf des Bahninfrastrukturfonds nur mit Hochdruck auf politischer und planerischer Ebene m gewünschten Horizont realisieren.

 

Kanton Bern: Ausbauträume in Meterspur
Im Kanton Bern sind zwei Projekte von Meterspurbahnen auf dem Radar. Weit ab von bestehenden Verkehrsströmen wird von der Grimselbahn geträumt. Eine Kombination von Höchstspannungsleitung und Eisenbahn zwischen Oberwald und Innertkirchen, was zur touristischen Direktverbindung St. Moritz – Andermatt – Interlaken führen kann. Stündlich ein Zahnradbahnzug mit 300 Sitzplätzen durch ein langes Loch für 300Mio. Franken (Anteil Schiene)! Nutzen für die Verkehrsumlagerung gleich Null.

Das andere Projekt – die Metro Nord-Süd – beflügelt die Politik in der Agglomeration Bern. Der neue Endbahnhof des RBS ermöglicht eine unterirdische Verbindung in einem Bogen via Insel und Liebefeld nach Köniz. Anschliessend könnte die kurvenreiche Schwarzenburger Linie umgespurt werden und so eine durchgehende S 7 ab Worb via Bern – Köniz bringen. Allerdings spricht die unterschiedliche Siedlungsstruktur dagegen, ausser man wünscht sich für die obere Gemeinde Köniz einen Bauboom wie im Worblental. Als Mitnahmeeffekt würde das Inselareal per Schiene erschlossen. In einem Mitwirkungsverfahren der Regionalkonferenz Bern-Mittelland wurde die Verlängerung des RBS zum Inselspital kritisch hinterfragt. Ein Feinverteiler mit zwei Elektrobuslinien, später eventuell Tram, wäre dienlicher und günstiger zu realisieren. Die Metro Nord-Süd trägt ein Preisschild über eine Milliarde Franken. Ebenso wenig ist sie in einem Ausbauschritt Bahninfrastruktur aufgenommen. Mit der Metro Nord-Süd würde zwar die normalspurige S 6 im Bahnhof wegfallen – dort ein wenig spürbarer Effekt. Dem gegenüber bleibt der leise Verdacht bestehen, die Aufhebung der zehn Niveauübergänge bis Köniz sei auch ein Treiber für diese Metro-Idee.

Für Kanton und Stadt Bern bleibt die Abwägung, ob 1 – 1½ Mia. Franken in zwei regionale meterspurige Bahnprojekte gesteckt werden sollen oder ob nicht der Gesamtnutzen – kantonal, touristisch und national – von vier neuen Gleisen für Fern- und S-Bahn-Verkehr im Bahnhof Bern höher zu gewichten sei. Die Diskussion dazu muss auf allen Ebenen geführt werden, um die im Bericht ZBB von 2011 stipulierten Hauptziele, den Anschluss im nationalen und internationalen Bahnverkehr auszubauen, in absehbarer Zeit erreichen zu können.

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Kaspar P. Woker, 01.09 2021

 

Bild 1: Übersicht Projekte Zukunft Bahnhof Bern mit seitlicher Erweiterung um vier Gleise

Bild 1: Übersicht Projekte Zukunft Bahnhof Bern mit seitlicher Erweiterung um vier Gleise

Bild 2: Seitliche Erweiterung Bahnhof Bern, Schnitt Grosse SchanzeQuelle: Bericht/Broschüre Zukunft Bahnhof Bern, 2011, Herausgeber Kanton Bern

Bild 2: Seitliche Erweiterung Bahnhof Bern, Schnitt Grosse SchanzeQuelle: Bericht/Broschüre Zukunft Bahnhof Bern, 2011, Herausgeber Kanton Bern

Bild 3: Bahnhof Bern Westeinfahrt, Blickrichtung grosse Schanze. Darunter würden vier weitere Gleise undPerronkanten entstehen. Bild: K.P. Woker, 8/2021

Bild 3: Bahnhof Bern Westeinfahrt, Blickrichtung grosse Schanze. Darunter würden vier weitere Gleise undPerronkanten entstehen. Bild: K.P. Woker, 8/2021